Ein bisschen Schnee, und alles steht still

Das ist natürlich leicht übertrieben. Aber wenn man bedenkt, dass in Atlanta läppische 5 cm Schnee gereicht haben, um die ganze Stadt komplett lahmzulegen, und dass es in vielen Gebieten der USA die Schulen geschlossen bleiben, einfach nur, weil es schneit – egal, wie viel davon liegen bleibt, wie diese Karte zeigt – dann kann man sich als Schweizer vielleicht etwa vorstellen, was seit rund einem Monat hier in New York los ist. Denn: Es ist Winter, es ist kalt, und hin und wieder schneit es.

Hier führt das gleich zu grösseren Verkehrsproblemen, bei den grossen Zufahrtsstrassen wie auch im Quartier. Winterpneus haben nur wenige – das Herumgerutsche mancher Autos ist etwa so komisch wie es gefährlich ist. Was wohl auch der Grund dafür ist, dass viele Schulen geschlossen bleiben. (Hinterher schimpft dann die ganze Upper East Side, weil man bei ihr etwas später mit den Schnee-Räumungsarbeiten angefangen hat als anderswo – typische New-Yorker-Rangeleien halt. Ich verschone Euch damit).

Schöne Nebenwirkung bei uns im Quartier: Weniger Leute, weniger Verkehr, mehr Ruhe. Wir sind froh, dass das Polarschwein, so haben wir die superkalte Periode am liebsten genannt, uns jetzt hoffentlich verschont. Das Polarschwein hatte keinerlei Respekt, machte auch vor mehreren textilen Schichten nicht halt, und saute auch mit Wonne durch sämtliche Ritzen in den Wänden unserer Wohnung. Allerdings: Für den gut eingepackten Spaziergänger mit Kamera gab’s eine schöne Motive im praktisch menschenleeren Quartier. Hier sind einige davon.

Williamsburg Bridge

Ob mit der Subway, mit dem Velo oder zu Fuss (mein Lieblingsspaziergang): Die Williamsburg Bridge, die Manhattan mit Brooklyn verbindet, überquere ich mehrmals pro Woche. Sie beginnt vier Blocks hinter unserem Haus und ist über zwei Kilometer lang (bei ihrer Eröffnung im Dezember 1903 war sie die längste Hängebrücke der Welt).

Fotogen ist sie auch. Wenn ich die Kamera dabeihabe, kann ich meistens nicht anders, als mindestens einmal abzudrücken. Hier ein paar meiner bisherigen Lieblingsfotos.

Williamsburgs wunderbare Wände

Dass unser Quartier toll ist habe ich ja schon erwähnt. Schön anzusehen ist es ebenfalls. Nicht nur wegen der Architektur aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, sondern auch wegen der vielen eindrücklichen Wandbilder.

Street Art und Graffiti gehören in Williamsburg (wie überhaupt in ganz New York) fest zum Strassenbild dazu. Das scheint auch die Werbung zu inspierieren: Plakatwände gibt es hier praktisch keine, wer werben will, lässt wieder malen.

Schöner als Plakate, oder?

D.C. -> Nashville -> Memphis -> New Orleans -> Brooklyn

Am Priester der Kirche an der Ecke ist ein Fussballkommentator verloren gegangen. Die frohe Botschaft klingt auch aus einiger Entfernung immer mindestens nach 3:0-Führung, die Gemeinde verfällt schon mal in Jubelschreie mit „Je-sus! Je-sus!“-Sprechchören. Vor unserem Haus wacht eine kleine Madonna. Gelegentlich bleibt ein Passant kurz andächtig vor ihr stehen. Ein unbekannter Verehrer bringt ihr nachts zuweilen kleine Gaben, legt Gummibärchen vor ihre Gipsfüsse. Ein kurzer Spaziergang vor unserer Haustüre führt an einer stattlichen Anzahl hispanischer Kirchen in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen (römisch-katholisch, spanisch-presbyterianisch, Baptisten, Pfingstgemeinden, etc.) vorbei.

Nach einem Monat New York haben wir uns gut eingelebt im Quartier. Es gefällt uns gut im wohltemperierten Melting Pot von Williamsburg, einem mittlerweile stark gentrifizierten, traditionell hispanischen, italienischen, jüdischen, afroamerikanischen und polnischen Viertel im Stadtbezirk Brooklyn.

Wenige Blocks weiter südlich kann es passieren, dass man als einziger keinen schwarzen Hut und kein schwarzes Gewand trägt. Während man sich wenige Blocks weiter nördlich entlang der Bedford Avenue und ihren Querstrassen Richtung East River plötzlich in einer Art Reservat für junge, weisse, zahlungskräftige und tendentiell eher bunt gekleidete Menschen mit scheinbar unbeschränkt viel Zeit für Kaffee, Coolness und alle anderen schöne Seiten des Lebens befindet. Die meisten Künstler mussten aus finanziellen Gründen längst weiter nach Osten ziehen, die Zeit günstiger Wohnungen ist hier definitiv vorüber. Geblieben ist eine sehr hohe Lebensqualität: Es gibt wohl kaum einen anderen Ort mit einer derart hohen Dichte an tollen Bars, Restaurants, Clubs, Kaffees und Geschäften. Auch das ist Amerika: Der Käseladen an der Bedford hat die grössere Auswahl an europäischem Käse als der Globus, Gemüse und Fleisch sind überall “organic”, und die Bio-Bauern verkaufen jeden Samstag ihre frischen Waren auf dem grossen Farmer’s Market im Park. Man könnte hier jeden Tag etwas Neues ausprobieren, und wäre nach einem halben Jahr noch lange nicht fertig.

Aber genug Quartiers-Blabla. Mitte August gingen wir mit zwei guten Freunden aus Zürich, die in den USA arbeiteten, auf einen kleinen Roadtrip. Die Stationen: Washington D.C. -> Nashville -> Memphis -> New Orleans … und dann Rückflug nach Brooklyn. Bilder sagen mehr als Worte: Voilà.